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Sitzen, einfach sitzen

Innere Bilder, die bei der Sitzmeditation helfen

Einfach zu sitzen, natürlich zu sitzen ist das Ziel. Übungsanweisungen gibt es viele. Aber wie sind sie zu verstehen, wie setzt man sie um?

Oft ist zu hören, man solle „die Schultern zu den Seiten weiten“: Weite schafft Raum, und nur, wo Raum ist, kann Energie fließen. Tief in der Höhle der Achsel entspringt der Herzmeridian. Wenn dort Raum entsteht, stellt sich beim Üben das innere Lächeln und die gelassene Fröhlichkeit leichter ein. Aber die Energie fließt nur, wenn es ohne Kraft geschieht. Darum sind ein Bild, ein Wunsch meist schon genug, um eine Wirkung im Bereich der Nerven, des Qi und der Faszien (der bindegewebigen Umhüllung der Muskeln) zu erreichen. Kein „Machen“ also, sondern ein „Geschehenlassen“ ist gefragt. Vielleicht hilft, sich kleine Balle oder Luftkissen in den Achseln vorzustellen.

Die oft erteilte Anweisung „Strecke den Rücken wie einen Pfeil“ beinhaltet viel Richtungsgabe und eine gewisse Starre, da ein Pfeil nicht biegsam ist. Es fragt sich: Geht der Pfeil nach oben oder nach unten, wohin zeigt seine Spitze? Strömt die Energie von den Sitzknochen nach oben, unterstützt das eher die geistigen Tätigkeiten, hält aber auch wach und klärt den Geist. Zeigt die Pfeilspitze nach unten, können sich die mentalen Geschehnisse beruhigen und die Energie fließt in das untere Zentrum.

Andreas W Friedrich sitzend
Setz‘ Dich hin und tu‘ nichts… (Li Zhi-Chang)

Um einfach und natürlich zu sitzen, geht es nach dem universellen Prinzip des TaiJi um Balance zwischen Unter- und Überspannung, also um ein konkretes Finden der „idealen Spannung“, die uns auf- und ausrichtet und uns mit so wenig Muskelanspannung wie möglich lange, schmerzfrei und mühelos sitzen lässt: kein Erschlaffen, kein Erstarren. Und da alles zusammenhängt, geht es um den gleichen Tonus (Spannungszustand) nicht nur in unserem Leib, sondern auch in den emotionalen und mentalen Gefilden. Wenn wir z,B. „sitzen wie ein Berg“ brauchen wir eine solide, breite Basis, sei es auf dem Boden oder auf dem Stuhl, um einfach und unerschütterlich weiter zu sitzen, auch wenn es im übertragenen Sinne stürmt und blitzt und Lawinen ins Tal donnern.

Unser Körper, mit und in dem wir meditieren, braucht Ruhe und Bewegung, braucht Weite, Raum, Offenheit und eine gute Erdung, verlangt nach einem freien Energiefluss und nach der Fähigkeit zur Sammlung. Es gilt, sich bestmöglich zwischen Himmel und Erde ein- und auszurichten, einen guten, liebevollen, Energie aufbauenden Gebrauch von sich zu machen, um wirklich loslassen zu können. Welche weiteren Bilder können dabei unterstützen?

Da gibt es „die Säule der Wirbel“, die den Kopf nach oben trägt. Um die Lebendigkeit auszudrücken, sprechen wir lieber von der „wachsenden Säule“, die wie der Stamm eines großen, gesunden Baumes die Säfte nach oben und unten transportiert. Der Kopf, als oberes Ende der Wirbel, als Krone, wachst in den Himmel. Von den Sitzknochen her fühlen wir uns wachsen, groß werden, Wirbel für Wirbel, von der sicheren Basis aus nach oben. Wir spüren unseren Kopf wie einen Ball, der auf einer Fontane balanciert und in alle Richtungen bewegt werden kann.

Ist diese Aufrichtung geschehen, kann das Bild der Boje helfen: Unser Kopf dümpelt als Boje leicht und gelassen, vom sonnenbeschienenen, ruhigen und wohltemperierten Wasser bewegt, das uns bis zum Halse umgibt und unseren Kopf trägt.

Ein drittes Bild zur Kopfhaltung zeigt einen Luftballon an einem Faden. Der Ballon schwebt leicht, ganz leicht nach oben und weitet unsere Wirbelsäule, schenkt den Bandscheiben Luft und Raum und lässt auch schwere Gedanken, die nach unten ziehen, nach oben hin los. Alle drei Bilder, Boje, Luftballon und Fontäne, wirken synergetisch zusammen und ergänzen sich. Wir können auch sagen: „Der Mensch weitet sich zwischen Himmel und Erde.“

Welches Bild auch immer hilft, es gilt: einfach und natürlich zu sitzen.

Zuerst erschienen in der Zeitschrift Intersein 1/2006

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